Ein Meilenstein des 3D-Betondrucks: Der Weisse Turm von Mulegns
Tor Alva („Der Weisse Turm“) ist das höchste 3D-gedruckte Gebäude der Welt. Der Turm wurde für die Kulturstiftung Origen in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich entworfen und jetzt im Alpendorf Mulegns in der Schweiz eröffnet. Unsere stellvertretende Chefredakteurin, Karla Knitter, war bei der Eröffnung dabei und schreibt einen ausführlichen Projektbericht für unser Jahrbuch „Beton Bauteile 2026“. Hier lesen Sie bereits einen Abstract mit Fokus auf dem innovativen 3D-Druck.
Symbiose aus Kunst und Forschung
Aus der Symbiose von künstlerischem Ausdruck, digitaler Forschung und zeitgenössischer Architektur ist ein einzigartiges Bauwerk entstanden. Der Turm setzt Maßstäbe durch den Einsatz von materialeffizientem, 3D-gedrucktem bewehrtem Beton, der eine einzigartige architektonische Form ermöglicht.
Inklusive des bestehenden historischen Sockels ist Tor Alva 30 m hoch und hat einen Durchmesser von 7 bis 9 m. Der Turm ist geprägt von 32 individuell gestalteten Säulen und besteht aus 2.500 gedruckten Betonschichten (10 mm hoch, 15 bis 20 mm tief). Die geschätzte Druckzeit betrug 900 Stunden. Der Weisse Turm wird für kulturelle Veranstaltungen und Aufführungen der Stiftung Origen genutzt. Der Kuppelsaal ist 8 m hoch und hat eine Kapazität für 32 Zuschauende. Die Gesamtkosten für das Projekt beliefen sich auf 4.4 Mio. CHF (4.7 Mio. EUR).
Tragender, bewehrter 3D-gedruckter Beton
Mit dem Bau des Turms wurde ein substanzieller Beitrag zur nachhaltigen Transformation der Baubranche geleistet. „Wir sehen uns mit großen Herausforderungen konfrontiert: der Reduktion von Emissionen, dem wachsenden Bedarf an Gebäuden und dem Arbeitskräftemangel, um hier nur drei zu nennen. Die Antworten auf diese Herausforderungen können wir gemeinsam finden, unter anderem durch eine radikale Digitalisierung der Bauindustrie“, so Architekt Prof. Dr. Benjamin Dillenburger bei der Eröffnungszeremonie.
3D-gedruckter Beton wurde bisher hauptsächlich für nichttragende Elemente verwendet. Dies war auf das Fehlen mechanischer Modelle und Bemessungsregeln, die die anisotropen Eigenschaften des 3D-gedruckten Betons aufgrund seiner Schichtung berücksichtigen, und nachgewiesener Konzepte für die Bewehrungsintegration sowie Modellen für die Interaktion zwischen Bewehrung und 3D-gedrucktem Beton zurückzuführen.
An der ETH Zürich wurden intensive Forschungsarbeiten durchgeführt, um diese Probleme anzugehen und das Potenzial der digitalen Fabrikation mit Beton für tragende Elemente vollständig zu nutzen. Zum einen wurden ein statisches Konzept und mechanische Modelle für 3D-gedruckten Stahlbeton entwickelt und experimentell an maßstäblich reduzierten und maßstäblichen 3D-gedruckten Stahlbetonsäulen validiert. Zum anderen wurde die Interaktion zwischen Bewehrung und 3D-gedrucktem Beton an zwei Serien von 3D-gedruckten Stahlbetonzuggliedern untersucht. Schließlich wurde ein neuer Materialprüfversuch für 3D-gedruckten Beton, der sogenannte modifizierte Scherversuch, etabliert. Dieser relativ einfache Versuch ermöglicht die Quantifizierung des Einflusses der Schichtgrenzflächen von 3D-gedrucktem Beton, einschließlich Trockenfugen und kalter Fugen, d. h. Schichten, die mit einer gewissen Zeitverzögerung aufgrund von Unterbrechungen während des Druckens hergestellt wurden.
All dies machte es möglich, den 3D-gedruckten Beton des Weissen Turms mit Stahlbewehrung und Vorspannung so zu bewehren, dass ein mechanisches Verhalten analog zu herkömmlichem Stahlbeton gewährleistet ist, wodurch die Einhaltung der Tragwerksnormen sichergestellt wird. Dementsprechend ist der Weiße Turm das weltweit erste mehrgeschossige Gebäude, das vollständig tragenden, bewehrten 3D-gedruckten Beton verwendet.
Automatisch integrierte Bewehrung
Während des Druckvorgangs wurde die Stahlbewehrung in die 3D-gedruckten Säulen integriert. Dabei arbeiten zwei Roboter zusammen: Der eine extrudiert Schicht für Schicht Beton zu komplexen Freiformelementen, während der andere zwischen diesen Schichten Bewehrung einlegt. Dadurch wird die 3D-gedruckte Struktur vollständig tragfähig. Da Beton nur dort verwendet wird, wo er statisch benötigt wird, reduziert diese schalungsfreie Methode den Materialverbrauch im Vergleich zu traditionellen Gussverfahren erheblich.
Die wichtigste Innovation dieses Verfahrens liegt in der automatisierten Integration der Bewehrung während des 3D-Druckprozesses. Zwei Roboter arbeiten im Tandem: Der eine trägt kontinuierlich Frischbeton auf, während der andere Bewehrung zwischen die Betonschichten legt. Nach dem Druck der dünnwandigen Hohlkörper werden Längsbewehrungsstäbe in vertikale Kanäle eingebracht, die anschließend vergossen werden. Dieser robotergestützte Fertigungsprozess ermöglicht den Einsatz von 3D-gedrucktem Beton in einer vollständig tragenden und lastabtragenden Weise.
Schalungsfrei und materialeffizient
Beim 3D-Betondruck trägt ein Roboterarm sukzessive dünne Schichten weichen Betons durch eine Düse auf. Das Material ist weich genug, um sich zu verbinden und kontinuierliche, homogene Bauteile zu bilden, härtet aber schnell genug aus, um die nachfolgenden Schichten zu tragen. Das Druckmaterial basiert auf einer Mehrkomponententechnologie, die Weibeton mit einem Stabilisator und einem Beschleuniger für die schnelle Aushärtung kombiniert. Dies ermöglicht die Herstellung freigeformter Elemente mit großen Überhängen. Das im Verfahren verwendete 3D-Betonfilament wird in 25 mm breiten und 8 mm hohen Schichten aufgetragen und bildet einen durchgehenden Druckpfad von etwa 5000 m pro Säule.
Jeder Säulenquerschnitt besteht aus drei Filamenten: Das äußere Filament weist die oben erwähnte Zierstruktur auf, die mittlere Schicht enthält die umschließende Bewehrung, und das innere Filament bildet Hohlkanäle für die Hauptlängsbewehrung. Durch den Einsatz robotergestützter Betonextrusion und den Verzicht auf Schalungen wird Beton präzise nur dort eingebracht, wo er benötigt wird, was zu einer Materialeinsparung von 40 % im Vergleich zu herkömmlichen Gussverfahren führt.
Computergestütztes Design
Das Design des Weissen Turms ist vollständig codegeneriert, also ohne manuelle Zeichnung oder Modellierung entstanden. Jedes Detail ist parametrisch skriptgesteuert, was einfache Anpassungen, immersive Visualisierung, Fabrikationssimulation und die Einhaltung der Einschränkungen des Robotik-3D-Druckers ermöglicht. Sämtliche Projektdaten werden in einem digitalen Zwilling gespeichert, der die Koordination, Simulation, Bewertung und Realisierung des Turms ohne herkömmliche Baupläne ermöglicht. Das semantische digitale Modell erlaubt die Optimierung des Materialeinsatzes und der Tragwerksleistung bei gleichzeitiger Integration hochauflösender technischer Details wie Elektro- und Beleuchtungssysteme, um die Betonarbeiten vor Ort zu minimieren. Augmented und Virtual Reality werden sowohl im Design als auch in der Realisierung umfassend eingesetzt.
Demontage und Wiederverwendung
Der für Zirkularität konzipierte Weisse Turm verfügt über lösbare Verbindungen, dank derer er nach seiner Nutzung in Mulegns demontiert und an einem neuen Standort wieder aufgebaut werden kann. Aktuell ist geplant, dass der Turm für fünf Jahre im Alpendorf verbleibt und dann an einem anderen, noch nicht bekanntgegebenen Ort aufgestellt wird.
Die Projektbeteiligten
Der Weisse Turm entstand aus einer Kooperation der Nova Fundaziun Origen und der ETH Zürich. Involviert waren außerdem die Bauunternehmen Uffer Gruppe und Zindel United sowie das Ingenieurbüro Conzett Bronzini Partner AG. Die Architekten des Turms sind Prof. Dr. Benjamin Dillenburger und Michael Hansmeyer von der Forschungsgruppe Digitale Bautechnologien an der ETH Zürich. Zur Entwicklung haben die ETH-Professuren von Robert Flatt (Baustoffe) und Walter Kaufmann (Tragwerk) sowie weitere Forscher des Nationalen Forschungsschwerpunktes Digitale Fabrikation maßgeblich beigetragen.
Mehr über die Motive und Inspirationen der Architekten, die Historie des Bergdorfs Mulegns sowie die Hintergründe und die Entstehung der Kooperation von Origen und der ETH Zürich lesen Sie in unserem Jahrbuch „Beton Bauteile 2026“, das im Dezember 2025 erscheint.
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