Projekt „CleanWater“: Sichere Abwasserbehandlung in Schwellenländern

Im indo-deutschen Projekt „CleanWater“ entwickeln Forscher gemeinsam mit Industriepartnern ein modulares, ressourceneffizientes Lösungskonzept zur Ermöglichung von Abwasserbehandlung in ländlichen Regionen. Der vollständige Beitrag (nur deutsch) ist im BetonBauteile Jahrbuch 2022 zu lesen, erhältlich in der Profil-Buchhandlung des Bauverlages.

Im indo-deutschen Projekt „CleanWater“ entwickeln Forscher des Instituts für Textiltechnik (ITA) der RWTH Aachen University (Aachen), des Department of Civil Engineering des Indian Institut of Technology Madras (IIT-M) (Chennai) und des CSIR-Structural Engineering Research Centre (CSIR-SERC) (Chennai) gemeinsam mit den Industriepartnern Betonwerk Hentzschel GmbH (Elsterwerda) und Raina Industries Private Limited (Mumbai) ein modulares, ressourceneffizientes Lösungskonzept zur Ermöglichung von Abwasserbehandlung in ländlichen Regionen.

Im Sustainable Development Goal 6 „Clean Water and Sanitation“ der Vereinten Nationen wird die sichere Versorgung mit sauberem (Trink-) Wasser als gesellschaftliches Gut von herausragender Bedeutung für die Gesellschaft definiert. Nach Beschreibung des Weltwasserentwicklungsberichts der Vereinten Nationen von 2020 [1] hat die Nichtbehandlung von Abwasser schwerwiegende Folgen für die Umwelt und die Bevölkerung.

Neben der direkten Beeinträchtigung der menschlichen Gesundheit führt ein Fehlen der Abwasserklärung zu einer Belastung der natürlichen Wasserressourcen und wirkt damit auch auf die Landwirtschaft und die Lebensmittelindustrie ein. Die Quote der unbehandelten Abwässer in Entwicklungsländern liegt bei 80 bis 90 % [1]. Dabei zeigt sich ein großes Ungleichgewicht der Möglichkeiten der Abwasserreinigung und des Zugangs zu sauberem Wasser zwischen städtischen und ländlichen Gemeinden. Um auch die schwer zugänglichen Regionen außerhalb der Ballungszentren nicht aus den Augen zu verlieren, müssen Kläranlagen an die vorliegenden Anforderungen angepasst werden.

 

Leichtbauweisen als Wegbereiter

In einer Vielzahl von Branchen (Automobilbau, Luftfahrt u. ä.) wurde durch den Einsatz von Leichtbautechnologien – wie den Faserverbundwerkstoffen – ein wesentlicher technischer Fortschritt geschaffen. In der Baubranche eröffnet textilbewehrter Beton (TB) neue Möglichkeiten des Leichtbaus und der Ressourcenschonung.

Durch die nichtkorrosiven Bewehrungsmaterialien können die erforderliche Betondeckung und das Gewicht der individuellen Bauteile deutlich reduziert werden. Bei der Anwendung in Kläranlagen werden durch die hohe Beständigkeit der Materialien zudem die Wartungs- und Substitutionsintervalle verlängert.

 

Projektkontext: international und interdisziplinär

Gesellschaftlich relevante Probleme zeichnen sich durch ein hohes Maß an Anforderungen in einer Vielzahl von Bereichen aus. Die Entwicklung einer großtechnisch einsetzbaren Lösung für modulare Kleinkläranlagen für ländliche Regionen erfordert die Betrachtung des Verbundwerkstoffs und seiner Komponenten, die Anpassung der Bauwerksgestaltung an die Anforderungen von Material, Prozess und Belastung sowie die wirtschaftliche Betrachtung von Herstellung, Vertrieb und Verkauf.

Um alle Aspekte der Problematik gleichbedeutend zu betrachten, wurde im Rahmen des Rahmen des Projektes „Clean Water“ des Indo-German Science & Technology Centre (IGSTC) ein internationales und interdisziplinäres Forschungsteam aufgebaut. Auf der indischen Seite wird das Projekt durch Professor Ravindra Gettu vom IIT-M koordiniert. Gemeinsam mit seinen Kollegen entwickelt Prof. Gettu ein anwendungs- und materialspezifisches Design der Kleinkläranlage sowie eine geeignete Betonmatrix. Die Entwicklung des Strukturdesigns wird dabei durch Forscher des CSIR-SERC unter Leitung von Dr. Smitha Gopinath durch numerische Simulation und strukturelle Prüfungen unterstützt. Die Entwicklung der textilen Bewehrung für die Betonstrukturelemente erfolgt unter Leitung von Professor Thomas Gries am ITA. Die wesentliche Verbindung zwischen der Forschung und dem flächendeckenden Einsatz der entwickelten Lösungskonzepte stellen Oliver Hentzschel (Betonwerk Hentzschel GmbH) und Dr. Mohit Raina (Raina Industries Ltd.) her. In enger Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Forschungsfortschritt werden die Herstellung, der Vertrieb und der Betrieb der Kleinkläranlagen vorbereitet. Zum Ende des Projektes wird die vollumfängliche Installation einer Anlage in der Region in Jhansi, Indien, angestrebt.

Dabei werden schon zu Beginn des Projektes die Gemeinden sowie nichtstaatliche Organisationen in das Projekt mit einbezogen.

 

Konzeption der Kleinkläranlage aus Textilbeton

Zentrale Kläranlagen gelten für große Ballungsgebiete als ideale Lösung [2]. Diese Abwassermanagementsysteme sind an eine große Infrastruktur - bestehend aus Wasser- und Energieleitungsnetzwerken - angeschlossen, die in ländlichen Gebieten meist nicht verfügbar oder in der Neuimplementierung sehr kostenintensiv sind. Allein dieses Versorgungssystem macht bis zu 90 % der Realisierungskosten aus. Außerdem ist selbst bei kontinuierlicher Wartung nach 50 bis 60 Jahren eine komplette Erneuerung von Teilen oder der gesamten Anlage erforderlich.

Eine Dezentralisierung kann mit kleineren Anlagen realisiert werden, die einzelnen Wohnblöcken oder einzelnen Haushalten zugeordnet sind [3]. Solche dezentralen Anlagen eignen sich besonders für vorstädtische und ländliche Gemeinden. Durch die Nähe zum Ursprung des Abwassers ist der Aufwand für die Realisierung der Zubringeranlage deutlich geringer. Sie sind ideal, um die Verschmutzung von Wasserquellen zu reduzieren und die direkte Wiederverwendung von Wasser zu ermöglichen. Darüber hinaus sind sie aufgrund ihrer kompakten und robusten Technik vergleichsweise einfach zu warten und zu betreiben [3].

 

Entwurfsentwicklung

Der oben genannte Bedarf an einer dezentralen Abwasserreinigung für den Einsatz in abgelegenen und ländlichen Regionen sowie das Potenzial von Textilbeton regen Überlegungen zur Realisierung von kleinen modularen Leichtbau-Systemen an. Diese sollen langfristig zu den Gemeinden transportiert und vor Ort implementiert werden. Durch den Einsatz des Leichtbauwerkstoffs TB werden der Transport und die Implementierung ohne Schwerlastgeräte deutlich erleichtert.

Die erforderliche Größe der Behälter wird auf Grund der Clusterung der Haushalte in der Zielregion Jhansi auf rund 2,5 m³ festgelegt. Um die Produktion zu vereinfachen, sollen, so weit wie möglich, die einzelnen Klärkammern in individuellen Behältern untergebracht werden. Des Weiteren wird bei der Designentwicklung der Gesamtsysteme die häufig fehlende elektrische Infrastruktur in Betracht gezogen. Zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der Anlagen sollen daher örtliche Gefälle ausgenutzt werden. Bei der numerischen Strukturanalyse am CSIR-SERC wurden fünf Lastfälle in unterschiedlichen Stadien der Implementierung und des Betriebs definiert. Dabei wurde als wesentlicher kritischer Lastfall der unterirdische Einbau in einem leeren Betriebszustand mit einer Verkehrslast identifiziert.

Der unterirdische Einbau ist auf Grund der Boden- und Wetterverhältnisse in den angestrebten Regionen und einer eventuell erforderlichen Nutzung der Oberfläche zwingend erforderlich.

 

Materialentwicklung

Basierend auf den strukturellen, mechanischen und ökonomischen Anforderungen entstehen die Komponenten des Verbundwerkstoffs. Am ITA wird eine Textilbewehrung aus alkaliresistentem AR-Glas Rovings mit einer Feinheit von 2400 tex entwickelt. Die Bewehrung wird in Form eines biaxialen Kettengewirks im gegenlegigen Trikot hergestellt, sodass eine gitterartige, offene Struktur entsteht. Dabei werden unterschiedliche Gitteröffnungen betrachtet, die einen starken Einfluss auf den tragenden Bewehrungsquerschnitt je Meter, die benötigte Lagenzahl und somit die Fertigungsbedingungen ausüben. Mit der derzeit erforschten Bewehrungsstruktur werden bei Gitteröffnungen von 8 bis 25 mm und je nach verwendetem Beschichtungsmaterial eine bis vier Lagen Bewehrung benötigt. Am IIT-Madras erfolgt die Entwicklung einer Betonmatrix.

Dabei ist ein Kompromiss zwischen einer Feinbetonmatrix, die eine geringe Textilgitteröffnung erlaubt, und den dafür anfallenden Kosten zu finden. Zudem muss das Material auch im Kontakt mit Abwasser eine hohe Festigkeit aufweisen und gleichzeitig aus kostengünstigen in Indien verfügbaren Materialien zusammengesetzt sein. Zu diesem Zeitpunkt befinden sich Proben mit der oben beschriebenen Bewehrung und einer Matrix aus Zement, Flugasche, Silikastaub, Quarzsand und Quarzstaub in Langzeitversuchen zur Ermittlung der Dauerhaftigkeit.

 

Danksagung

Die Autorin und das gesamte Forschungsteam des Projektes „CleanWater“ danken dem BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) Deutschland, dem DLR Projektträger, Deutschland und dem DST (Department of Science and Technology, Government of India) für die Finanzierung und die Koordination des Forschungsprojekts „CleanWater“ innerhalb des Indo-German Science & Technology Centre (IGSTC). Die mechanischen Tests am IIT Madras wurden im Laboratory for Mechanical Performance of Civil Engineering Materials durchgeführt, teilweise finanziert durch den FIST Grant SR/FST/ETII-054/2012.


REFERENCES/LITERATURE
[1] UN Water: The United Nations World Water Development Report 2020 – Water and Climate Change, United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization, 2020
[2] Schellenberg, T.; Subramanian, V.; Ganeshan, G.; Tompkins, D.; Pradeep, R.: Wastewater Discharge Standards in the Evolving Context of Urban Sustainability – The Case of India; Policy and Practice Reviews; Front. Environ. Sci., Volume 8; April 2020; Article 30
[3] Libralato, G.; Ghirardini, A.V.; Avezzù, F.: To centralise or to decentralise: An overview of the most recent trends in wastewater treatment management; Journal of Environmental Management; Volume 94, Issue 1, Pages 61-68, 2012
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