Auskragende Balkonkübel aus Betonfertigteilen: Der Trudo Vertical Forest in Eindhoven
Nach dem Vorbild seines Mailänder Doppelhochhausprojektes „Bosco Verticale“ schuf der italienische Stararchitekt Stefano Boeri im niederländischen Eindhoven einen 70 m hohen vertikalen Wald zum Wohnen. Die auskragenden Balkonkübel der 125 Bäume sind Betonfertigteile. Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem in unserem Jahrbuch „Beton Bauteile 2025“ erschienenen Projektbericht.
Nein, wie einst Tarzan an der Liane wird man sicher nie von einem Balkon zum nächsten schwingen können – und soll man sicher auch nicht. Nichtsdestotrotz ist die Vegetation im Eindhovener „Vertical Forest“ der Wohnungsbaugesellschaft Trudo – wie der Name nahelegt – in die Senkrechte orientiert. Das von dem Mailänder Stararchitekten Stefano Boeri entworfene, 70 m hohe Wohnhochhaus verfügt über 18 Geschosse, die ab der vierten Ebene jeweils acht Loftwohnungen mit 50 m² Wohnfläche und einer lichten Deckenhöhe von 3,50 m aufweisen. Die enorme Raumhöhe soll einerseits grundsätzlich eine spätere Gewerbeumnutzung möglich machen (Stichwort: Abhangdecken für Büroflächen), andererseits benötigt man planerisch eine gewisse lichte Höhe, um Bäumen überhaupt ein gesundes Wachstum auf einem Balkon zu ermöglichen. Und in der Summe – Bäume vor dem Fenster und beträchtliche Innendeckenhöhe – führt dies natürlich zu einer erheblich gesteigerten Wohnqualität für die Bewohner. In den untersten beiden Geschossen des Trudo Vertical Forest wurden Einzelhandel, Gastronomie und 350 m² Büroflächen untergebracht. In der dritten Etage ist eine Art Wohngemeinschaft, bestehend aus fünf Loftwohnungen und einem großen Gemeinschaftsraum, eingerichtet. Grundsätzlich wurden bei allen 125 Wohneinheiten die Bäder in Mittellage angeordnet, um eine hohe Flexibilität in den Grundrissen und viel Fensterfläche nach außen zu schaffen. Die Bewohner sollen eben nicht „nur“ einen Baum bei sich auf dem Balkon stehen haben, sondern der Blick durch viel Glas soll das Gefühl vermitteln, in einem echten Wald zu leben. Denn die Bäume und nicht die Hauswände sollen Schatten spenden und die Ausblicke rahmen.
Betonfertigteile überall
Die 125 Balkone haben keine einheitliche Größe, auch sind sie versetzt zueinander angeordnet. Der Hintergrund ist, dass die Bäume so die Möglichkeit haben, größer zu werden als die Geschosshöhe von 3,50 m. Doch das Prinzip ließ sich verständlicherweise nicht für die ganze Fassade aufrechterhalten. Die geräumigen Balkone sind natürlich auch zur Nutzung durch die Bewohner gedacht und durchweg größer als für eine Sozialwohnung üblich, denn das sind die Wohneinheiten des Trudo allesamt. Alle Pflanzkübel wurden als Betonfertigteile von der Westo Prefab im niederländischen Coevoerden produziert. Während man die Tröge für die Bäume auf den auskragenden Bodenplatten der Geschossdecken platzierte, wurden die kleineren Behälter für die insgesamt 5.200 Sträucher teilweise mit verdeckten Stahlkonstruktionen von den Decken darüber abgehängt. Alle Pflanzkübel mussten vorab mit Haustechnik ausgestattet bzw. für diese vorbereitet werden: Sie hatten wasserdicht ausgeführt zu sein, ausgestattet mit Be- und Entwässerung und entsprechenden Feuchte- und Temperatursensoren. Denn natürlich ist die Pflege des Fassadenbewuchses nicht eine Mieteraufgabe, sondern die einer eigens dafür lizenzierten Gartenbaufirma - aber diese kann sich nicht täglich um eine korrekte Bewässerung jedes Fassadengewächses kümmern. Und der Wasserbedarf ist in solch exponierten Lagen wie an einer Hochhausfassade höher als etwa in geschützten Tallagen. Zudem wurden die Tröge mit speziellen Gittern, sogenannten Lufttöpfen, ausgestattet, die eine Haarwurzelausbildung der Pflanzen und damit eine bessere Bodenverankerung begünstigen. Um zu vermeiden, dass unschöne Drainagerohre die Balkonuntersicht stören, wurden diese von unten mit breiten, versetzt zueinander montierten dunkelgrauen Metallpaneelen verkleidet. Dies ermöglichte zudem eine unterseitige Dämmung der Pflanztröge, um ein zu schnelles Durchfrieren des Substrats in winterlichen Frostperioden zu verhindern.
Rohbaukonstruktion
Die auskragenden Balkonbodenplatten müssen extreme Lastmomente aufnehmen, da die Pflanzkübel mit Bäumen und Substrat bis zu 10 t schwer sein können. Das enorme Gewicht dient auch dem Windschutz. Natürlich sind die Pflanzkübel zusätzlich alle in den Decken verankert, jedoch unterstützt deren Massenträgheit die Solidität der Bauweise. Um die enormen Scherkräfte der Balkonplatten ohne Kältebrücken zu realisieren, wurden deren Rohbaudeckenanschlüsse mit Produkten der Schöck Bauteile GmbH ausgeführt. Insbesondere wurden der Schöck-Isokorb und das I-Dock verbaut. Doch nicht nur die Balkone, sondern auch der Gebäudekern, der aus den Treppenhäusern sowie den Aufzug- und Versorgungsschächten besteht, wurde wie auch die Geschossdecken selbst teilweise in Betonfertigteilbauweise erstellt. Während auch diese Fertigteile von Westo Prefab produziert wurden, lieferte die Jansen Beton BV aus dem niederländischen Son den erforderlichen Ortbeton. Der Hintergrund für den hohen Betonelementeinsatz bei diesem Projekt ist, dass dessen Generalunternehmer, die Eindhovener Stam + De Koning Bouw, den Vertical Tower weitgehend gerüstfrei realisieren wollte, weil so die irregulären Balkongeometrien unkomplizierter zu montieren waren.
Beton Bauteile 2025
Der vollständige Projektbericht ist im „Beton Bauteile 2025“ zu lesen. Das Jahrbuch ist das inspirierende Nachschlagewerk zu außergewöhnlichen Projekten, Ästhetik und Ingenieurskunst mit Fertigteilen aus Beton. Zahlreiche Beiträge in den Kapiteln Architektur, Ingenieurbau, Infrastruktur, GaLa-Bau und in diesem Jahr erstmalig additive Fertigung zeigen die universelle Verwendbarkeit der Produkte sowie Innovationen und Trends. Sie erhalten Ihr Exemplar online im Bauverlag-Shop und über diesen Link: www.beton-bauteile.de.
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Westo Prefab Betonsystemen B.V.
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