Wiederverwendung von Betonfertigteilen für nachhaltiges und umweltfreundliches Bauen

Das finnische Unternehmen Peikko hat Ende 2021 ein Pilotprojekt durchgeführt, bei dem ein Tragwerk aus Betonelementen und Slim Floor-Trägern aufgebaut, abgebaut und erneut aufgebaut wurde. Hauptziel dieses Projekts war der Nachweis, dass sich mit der Verbindungstechnik von Tragwerkskonstruktionen das Wiederverwendungspotenzial von Betonfertigteilen erschließen lässt.

Einleitung

Das finnische Unternehmen Peikko hat Ende 2021 ein Pilotprojekt durchgeführt, bei dem ein Tragwerk aus Betonelementen und Slim Floor-Trägern aufgebaut, demontiert und erneut aufgebaut wurde. Außerdem waren der Betonfertigteilhersteller Consolis Parma und die ebenfalls finnische Schulungs- und Forschungsorganisation TTS an dem in Vanataa/Finnland durchgeführten Projekt beteiligt. Hauptziel dessen war der Nachweis, dass sich mit der Verbindungstechnik von Tragwerkskonstruktionen das Wiederverwendungspotenzial von Betonfertigteilen erschließen lässt.

Im Jahr 2022 wurde dann mit dem Bau eines aus demontierbaren Verbindungselementen und wiederverwertbaren Tragwerkselementen bestehenden Wohnhauses begonnen. Hierbei handelt es sich um das erste Wohnhaus in Finnland, das nach dem Prinzip „Design for Disassembly“ errichtet wurde und damit eine direkte Wiederverwendung seiner Bestandteile ermöglicht. Die Verbindungen zwischen den Tragwerkselementen wurden hierfür entsprechend den bewährten Praktiken aus dem Pilotprojekt 2021 ausgelegt.

 

Druck zum Umweltschutz

Die Entwicklung zu Nachhaltigkeit und CO2-Neutralität sind global relevante Themen der heutigen Welt. Um bis 2050 klimaneutral zu werden, hat die Europäische Kommission Ziele für ganz Europa festgelegt, die in der Strategie des europäischen Green Deal [1] zusammengefasst sind. Zur Unterstützung dieser Ziele hat die EU-Kommission außerdem den Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft [2] veröffentlicht, in dem konkrete Maßnahmen zum Erreichen dieser Ziele in den unterschiedlichen Wertschöpfungsketten definiert wurden. Einer dieser Wertschöpfungsketten ist der Bausektor, in dem über 35 % aller Abfälle auf dem Gebiet der EU erzeugt werden sowie 5 - 12 % der weltweiten Treibhausgasemissionen [2]. Darüber hinaus wurden laut Eurostat [3] im Jahr 2018 29 % aller nicht erneuerbaren Rohstoffe im Bausektor verwendet. Diese Zahlen belegen, wie enorm der Druck auf die Bauindustrie ist, nachhaltigere Arbeitsweisen zu finden.

Ein Aspekt der Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft ist, dass die Produkte, Komponenten und Werkstoffe ihren höchsten Nutzen bewahren und deren Wert über den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes erhalten bleibt [4]. Anschlüsse sind so auszulegen, dass sich Bauteile effektiv demontieren lassen und die Modularität des Gebäudes unterstützen. Das Potenzial aus dem Gebäudebestand kann ebenfalls ausgenutzt werden, wenn festgestellt wird, dass dessen Substanz den modernen Anforderungen entspricht. Mit diesen Vorgehensweisen lässt sich der Bedarf an neuen Bauwerken und Gebäuden effektiv verringern und damit sowohl der CO2-Ausstoß als auch der Materialverbrauch.

 

Die Zukunft steuern

Die Rückbaufähigkeit und Wiederverwendbarkeit von Stahlkonstruktionen wurde beispielsweise bereits im EU-geförderten Progress-Projekt [5] untersucht. Die sehr geringen Fertigungstoleranzen von Stahlkonstruktionen ermöglichen die Verwendung von Verbindungen mit präzisen Geometrien, die sich ebenso leicht demontieren wie einbauen lassen. Bei Betonkonstruktionen stellt sich die Situation anders dar, weil hier Einbautoleranzen für die Anschlüsse erforderlich sind. Daher ist zwischen einzelnen Betonfertigteile eine Fuge notwendig, die mit zementhaltigem Fugenmörtel verfüllt werden muss, um den Lastabtrag sicherzustellen. Durch den Fugenmörtel, der mit der Zeit aushärtet, wird der Rückbau erschwert und die Wiederverwendung von Bauteilen sogar verhindert. Allerdings wurde in der Praxis auch nur selten versucht, die Betonkonstruktionen wiederzuverwenden.

Um neue Erkenntnisse zu erlangen und negative Vorurteile abzubauen, die bezüglich der Wiederverwendbarkeit von Betonfertigteilen kursieren, hat Peikko ein Pilotprojekt umgesetzt, bei dem die Demontage und Wiederverwendung derartiger Konstruktionen in der Praxis untersucht wurden. Hierfür wurde eine Tragkonstruktion aufgebaut, die aus 320 mm tiefen Verbundträgern Deltabeam Green besteht, für die Stahl mit einem recycelten Anteil von 90 % oder mehr verwendet wurde, sowie „grüne“ Hohlkörperdecken und Fertigteilstützen, die aufgrund der umweltfreundlichen Technologie von Parma 50 % weniger CO2-Emissionen verursachen als Standarddecken (Abbildung 1). Die Seitenabmessungen der Tragkonstruktion betrugen hierbei 6 m x 8 m und die Stützen waren 3 m hoch. Die Decken waren 320 mm tief und die Stützenquerschnitte betrugen 350 x 350 mm². Sowohl die Fugen zwischen den Verbundträgern Deltabeam Green und den Betonteilen als auch den Verbindungen zwischen den Elementen waren so konzipiert, dass ein einfaches Demontieren und Wiederaufbau der Konstruktionen möglich war. Dabei wurde das Prinzip der Schraubverbindung mit seinem großen Spektrum angewendet (Abbildung 2, 3, und 4).

Bei der Demontage wurden die Vergussfugen mit einer Diamantschneide aufgesägt und Vergussmasse mit einem Schlaghammer entfernt (Abbildung 5). Um die Sicherheit zu gewährleisten, wurden die Verbundträger Deltabeam Green und die Fertigteilstützen vor der Demontage abgestützt. Abgetrennte Bauteile wurden in kontrollierter Reihenfolge einzeln abgehoben und in der Nähe des Einbauortes gelagert. Durch Entfernen von gehärtetem Mörtel mit Hilfe des Schlaghammers (Abbildung 6) wurden die demontierten Konstruktionen für die Wiederverwendung vorbereitet.

Beim Wiederaufbau wurden alle abgebauten Bauteile in ihre ursprüngliche Position gebracht und die Schraubverbindungen wieder angeschlossen (Abbildung 7). Daraus lässt sich schließen, dass Demontage und Wiederverwendung von Betonelementen mit der aktuellen Verbindungstechnik bereits möglich ist. Aber ist der Rückbau von Bauwerken auch wirtschaftlich tragfähig bzw. hat die Wiederverwendbarkeit einen eindeutigen Einfluss auf die Verringerung der Umweltbelastung?

Geringere Umweltbelastung bei niedrigeren Kosten

Nach Abschluss des Pilotprojekts wurde der Einfluss von Rückbau und Wiederverwendung auf Umwelt und Wirtschaft durch einen Vergleich von zwei Szenarien untersucht:

1) Wiederaufbau der Tragkonstruktion unter Verwendung der gleichen demontierten Bauteile;

2) Wiederaufbau der Tragkonstruktion unter Verwendung fabrikneuer Bauteile.

 

Für den letztgenannten Fall wurde von einer vergleichbaren Tragkonstruktion aus Betonfertigteilen ausgegangen, jedoch ohne die Verbindungstechnik, die die Demontage unterstützt. Somit war hier für den Wiederaufbau der Tragkonstruktion die Lieferung völlig neuer Bauteile erforderlich. Zur Einschätzung des wirtschaftlichen Effekts wurden die Kosten für Material und Arbeitsprozesse (€) berechnet, während der Einfluss auf die Umwelt anhand der CO2-Emissionen (kg CO2) ermittelt wurden. Im White Paper „Dismount and Reuse of Precast Concrete Frame“ [8] werden die Studie und ihre Ergebnisses ausführlicher erörtert.

Es wurde festgestellt, dass auch wenn Demontage und Wiederverwendung bereits bei der Planung (Szenario 1) Berücksichtigung finden, zusätzliche Kosten und CO2-Emissionen sowohl in der ersten Aufbauphase als auch beim Rückbau entstehen, so sind die wirtschaftlichen Einsparungen und der ökologische Nutzen in der Wiederaufbauphase gegenüber Herstellung und Transport von ganz neuen Bauteilen (Szenario 2) jedoch erheblich. Bei dem Pilottragwerk, das im Rahmen des Pilotprojekts realisiert wurde, beliefen sich die Kosteneinsparungen durch Rückbaubarkeit und Wiederverwendbarkeit auf ca. 35 % und die Emissionen waren 50 % geringer.

 

Vom Pilotprojekt in die Praxis

Während das Pilotprojekt die technische Umsetzbarkeit mit der heutigen Verbindungstechnik belegt, konnte in der Untersuchung der ökonomischen und ökologischen Vorteile das noch verborgene Potenzial von Demontage und Wiederverwendung von Betonkonstruktionen deutlich gemacht werden. Eine der größten Herausforderungen bei der Anwendung des „Design for Disassembly“-Konzepts als gängiges Verfahren ist das Fehlen von regulativen Normen, die Planern Regeln und Grenzen setzen würden. Der internationale Standard ISO 20887 [7] ist eine von derzeit wenigen Grundlagen und Anforderungen in Bezug auf die Thematik, und das Konzept der Schraubverbindungen erfüllt diese Norm. Standardisierungsarbeit in größerem Umfang ist jedoch weiterhin erforderlich. Zur Ankurbelung des Wettbewerb werden darüber hinaus vermehrt Referenzen benötigt, die bewährte Verfahren für Demontage und Wiederverwendung aufzeigen.

Mit dem Bau des ersten Wohnhauses unter Verwendung von demontierbaren und wiederwendbaren Tragstrukturen wurde in Finnland im Jahr 2022 begonnen (Abbildung 8 und 9). Die Rückbaufähigkeit von Bauteilen wurde durch die Anwendung der bewährten Praktiken aus dem Pilotprojekt möglich: ein großes Spektrum an Schraubverbindungen für den Anschluss der Verbundträger Deltabeam Green, Verbundstützen Atlant Strong und der „grünen“ Hohlkörperdecken (Abbildung 10 und 11). Das Wohnhaus wird das erste seiner Art sein, das sich durch die wesentlichen Merkmale grünen Bauens auszeichnet: demontierbare und wiederverwendbare Bauteile, die aufgrund des Anteils an recyceltem Material eine minimierte CO2-Bilanz aufweisen. Es stellt einen konkreten Maßstab für Gebäude der Zukunft dar, die kreislauffähig sein sollen, ohne dabei das ansprechende Erscheinungsbild und die bauliche Leistungsfähigkeit zu beeinträchtigen.

 

Die Zukunft im Blick behalten

Auch wenn es keine technischen Hindernisse bei der Wiederverwendung von demontierten Betonfertigteilen für denselben Zweck gibt, kann es dennoch schwierig sein, eine neue Verwendung und einen neuen Zweck zu finden, sofern dies nicht im Voraus geplant oder bekannt ist. Für die systematische Nutzung von demontierten und bereits verwendeten Bauteilen als ein Teil für neuen modernen Baubestand bedarf es neuer Geschäftsmodelle für die sowohl digitale als auch physikalische Lagerung von bereits verwendete Bauelementen. Der potenzielle Kunde/Bauherr kann dann die Datenbank nach für seinen Einsatz und Zweck geeigneten Bauelementen durchsuchen und diese zu einem geringeren Preis kaufen. Daher sollte die Datenbank Informationen zu wesentlichen Eigenschaften der eingelagerten Bauelemente enthalten. Um Eignung und Zustand der demontieren Elemente beurteilen zu können, ist auch ein standardisiertes Prüfverfahren erforderlich.


REFERENCES/LITERATURE
[1] Communication from the Commission to the European parliament, the European council, the Council, the European economic and social Committee and the Committee of the regions. The European Green Deal. Com (2019) 640 final. Brussels, 11.12.2019
[2] Communication from the Commission to the European parliament, the European council, the Council, the European economic and social Committee and the Committee of the regions. A new Circular Economy Action Plan. For a cleaner and more competitive Europe. Com (2020) 98 final. Brussels, 11.3.2020
[3] Eurostat. Material flow accounts in raw material equivalents by final uses of products – modelling estimates. ec.europa.eu/Eurostat/databrowser/view/ENV_AC_RMEFD_custom_717578/default/table?lang=en
[4] ISO 20400:2017. Sustainable procurement – Guidance
[5] European Recommendations for Reuse of Steel products in Single-Storey Building, 1st Edition. Girao, A., Pimentel, R., Ungureanu, V., Hradil, P., Kesti, J. ECCS – European Convention for Constructional Steelwork. 2020.
[6] Peikko White paper. Dismount and reuse of precast concrete frame. Yrjölä, J., Wanjala, P. 2022. https://media.peikko.com/file/dl/i/leyTcQ/pyHh6QwwuUXq4_jCZRnl5A/PeikkoWhitePaper_Dismountandreuseofprecastconcreteframe.pdf
[7] ISO 20887:2020. Sustainability in buildings and civil engineering works – Design for disassembly and adaptability – Principles, requirements and guidance.
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