Novellierung der Musterbauordnung

Nationale Anforderungen an Bauprodukte
im Bauordnungsrecht

Unvollständigkeit harmonisierter Normen

Viele der harmonisierten Produktnormen enthalten nicht alle Verfahren und Angaben, die erforderlich sind, um Aussagen in Bezug auf alle wesentlichen Merkmale zu treffen, die notwendig sind, um die Erfüllung der Grundanforderungen an Bauwerke in allen Mitgliedstaaten nachzuweisen.

Damit deckt auch eine CE-Kennzeichnung mit der dazugehörigen Leistungserklärung nicht alle Aussagen ab, die erforderlich sind, um die Erfüllung der Grundanforderungen der Bauwerke nachzuweisen. Denn viele Aussagen zu Standsicherheit, Brandschutz etc. lassen sich nur unter Berücksichtigung bestimmter Eigenschaften der Bauprodukte treffen.

So hat eine bauliche Anlage naturgemäß standsicher zu sein. Der erforderliche Standsicherheitsnachweis besteht im Prinzip aus einem Berechnungsverfahren, bei dem letztlich die Werte (Druckfestigkeit, Zugfestigkeit etc.) der Bauprodukte (einschließlich Bauteile, Bausätze) zugrunde gelegt werden müssen. Sieht die harmonisierte Norm kein Verfahren für die Ermittlung der Druckfestigkeit vor, kann der Standsicherheitsnachweis allein mit der harmonisierten Norm und der CE-Kennzeichnung einschließlich der Leistungserklärung weder berechnet noch dementsprechend geführt werden.

Bisherige nationale Ergänzung

Die bisherige Lösung bestand in Deutschland darin, eine in Bezug auf die nationalen Anforderungen „unvollständige“ Harmonisierung als „Teilharmonisierung“ des Produkts zu begreifen. Dies ermöglichte eine nationale Ergänzung der Norm insbesondere im Wege der Erteilung von allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassungen oder auch allgemeinen Prüfzeugnissen in Bezug auf den „ungeregelten“ Bereich, der wiederum prinzipiell durch die Bauregelliste Teil B 1 festgelegt wurde.

EuGH-Urteil

Der EuGH hat mit Urteil vom 16.10.2014 – RS 100/13 entschieden, dass eine solche nationale Ergänzung unzulässig ist. Der Mitgliedstaat darf keine unmittelbaren Anforderungen mehr an (harmonisierte) Bauprodukte stellen. Eine harmonisierte Norm beinhaltet faktisch die Vermutung ihrer „Vollständigkeit“. Jedenfalls können Mängel nicht durch nationale Regelungen ausgeglichen werden. Die EU-BauPVO ist vielmehr ein „geschlossenes System“. Das bedeutet, eine Ergänzung der Norm kommt praktisch nur über eine Mandatserteilung der EU-Kommission und Ergänzung der Norm durch CEN in Betracht.

Die Ergänzung einer Norm nimmt aber erhebliche Zeit in Anspruch und ist daher kein praktikabler Weg. Gleiches gilt für die mögliche Beantragung der Erteilung einer ETB nach der EU-BauPVO durch den Hersteller.

Das nationale Sicherheitskonzept, das auch auf Anforderungen an Bauprodukte abstellt, ist folglich zu ändern.

Die Bauministerkonferenz hat dementsprechend eine Novelle zur Änderung der Musterbauordnung (MBO) vorgelegt, die einen Verzicht auf nationale Anforderungen und dementsprechend auch auf nationale Nachweise, vor allem in Form der vom DIBt erteilten allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassungen für harmonisierte Bauprodukte, vorsieht. Allerdings ist bislang unklar, wie die Übergangsregelungen aussehen.

Gewährleistung der Einhaltung der bauaufsichtlichen Anforderungen

Dieser Umstand ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass der Mitgliedstaat weiterhin Anforderungen an Bauwerke formulieren kann. Er kann deren Einhaltung auch kontrollieren und sich nachweisen lassen. Dies kann er im nationalen Recht festlegen.

Daher haben neben der Bauaufsicht auch alle anderen Beteiligten ein Interesse daran, den Nachweis der Einhaltung der bauaufsichtlichen Anforderungen führen zu können.

Wird der Bauherr aber verpflichtet, einen Standsicherheitsnachweis für das Gebäude zu führen, muss er entsprechende verlässliche Aussagen zu den Eigenschaften der Bauprodukte machen können. Der Planer und (Bau-)Unternehmer, die das Bauwerk erstellen, müssen diese Angaben ihrerseits im Rahmen ihrer vertraglichen Pflichten dem Bauherrn zur Verfügung stellen. Daher werden sie diese Angaben wiederum von den Herstellern abfordern.

Damit besteht – außerhalb der bauaufsichtlichen Regelungen – ein Interesse der Marktteilnehmer, diese Angaben zu erhalten.

Bislang konnten sich die Marktteilnehmer hierzu auch der bauaufsichtlichen Zulassungen und der damit verbundenen Ü-Kennzeichnung bedienen. Lag diese vor, wussten die Beteiligten, dass die Bauprodukte geeignet waren, um eine bauliche Anlage zu errichten, die den bauaufsichtlichen Anforderungen genügt. Dieser „Service“ der nationalen Bauaufsicht in Form des DIBt entfällt jetzt.

Daher besteht aus der Sicht der Marktteilnehmer die Notwendigkeit, alternative Lösungen zu finden. Diese kann praktisch nicht in der Beantragung von ETB (Art. 26 Bauproduktenverordnung) liegen, da dieser Weg viel zu viel Zeit in Anspruch nimmt und daher nicht praktikabel ist.

Lösung

Bei einer Lösung ist von folgenden Anforderungen auszugehen:

Das System muss EU-BauPVO-konform sein. Das heißt, es darf sich nicht um staatliche Regelungen handeln.

Das System darf nicht marktabschottend wirken, Monopole dürfen nicht geschaffen werden.

Das System muss für alle Wettbewerber offen und transparent sein.

Die Anforderungen dürfen nicht diskriminierend sein.

Das System muss den Beteiligten die Möglichkeit bieten, die erforderlichen Nachweise verlässlich zu erbringen.

In der Diskussion wird nunmehr ein System von „Gütezeichen“ vorgeschlagen. Eckpunkte dieser Lösung sind:

Unabhängige (ggf. nach der EU-Akkreditierungsverordnung akkreditierte) (private) fachkundige Stellen konzipieren

unter Beteiligung der Marktteilnehmer (Hersteller, Bauwirtschaft, Planer, Auftraggeber)

nach den Anforderungen des Marktes (die die Nachweisführung bzgl. der Einhaltung der bauaufsichtlichen Anforderungen der oder einzelner Mitgliedstaaten an Gebäude naturgemäß beinhalten)

technische Bedingungen, die für die bestimmten Bauprodukte

nach einheitlich festgelegten transparenten (Mess-)Verfahren in festgelegten Konformitätsnachweisverfahren nachzuweisen sind.

Erfüllen die Bauprodukte diese Bedingungen, erhalten sie einen entsprechenden Nachweis („Gütesiegel“).

Ein solches „Gütesiegel“ ermöglicht es dem Bauherrn, gegenüber den Bauordnungsbehörden des betreffenden Mitgliedstaates die erforderlichen Aussagen zu treffen und vor allem den Nachweis zu führen, dass die bauaufsichtlichen Anforderungen an das Gebäude im Einzelfall erfüllt sind.

Rechtliche Beurteilung der Lösung

Es handelt sich nicht um eine staatliche Lösung. Zwar nimmt diese Lösung mittelbar Bezug auf bauordnungsrechtliche Anforderungen. Diese Anforderungen beziehen sich jedoch ausschließlich auf Sicherheitsbestimmungen für bauliche Anlagen, die die Mitgliedstaaten aus Gründen der Gefahrenabwehr treffen können.

Dem Bauherren steht es frei, wie er diese Anforderungen erfüllt, insbesondere welche Bauprodukte er verwendet. Das entbindet ihn aber nicht von der Verpflichtung, die Erfüllung der Anforderungen des Bauwerks nachzuweisen. Wie er diesen Nachweis führt, bleibt ihm ebenfalls überlassen. Da es sich aber um „technische“ Werte handelt, bedarf es letztlich entsprechender technischer Nachweise für die verwendeten Bauprodukte und die Konstruktion.

Die erforderlichen Nachweise fordert der Käufer im Rahmen seines „Einkaufs“ – quasi mit einem „Bestellzettel“ – von dem Hersteller, für dessen Produkt er sich entscheiden möchte. Denn der Käufer kann selbst bestimmen, welche Eigenschaften das Produkt im Hinblick auf sein Gebäude zu erfüllen hat.

Es handelt sich also um „kaufvertragliche Zusicherungen“ des Herstellers, die der Markt ihm in Bezug auf sein Produkt konkret abverlangt. Es steht ihm auch frei, diese Erklärung abzugeben. Handelt es sich um „Standardanforderungen“, so gebietet es die Wirtschaftlichkeit, diese Angaben ebenfalls zu standardisieren.

Zudem bewertet der Markt die Aussage eines unabhängigen Dritten höher als eine reine Herstellererklärung. Daher liegt es im wohlverstandenen Interesse der Marktteilnehmer, ein derartiges Gütesiegel zu verlangen beziehungsweise anzubieten, das als unabhängiger Nachweis für die Einhaltung bestimmter Produkteigenschaften dient.

Beispiel

Der Käufer/Bauherr hat ein standsicheres Gebäude zu errichten. Welche Konstruktion er hierfür wählt und welche Bauprodukte er verwendet, steht ihm frei. Hat er sich entschieden, muss er einen individuellen Standsicherheitsnachweis für das Bauwerk erstellen lassen. Die dafür erforderlichen Angaben fordert er von den Herstellern der ausgewählten Produkte verlässlich ab. Zugleich verlangt der Käufer den Nachweis der Einhaltung dieser Werte. Dieser Nachweis kann – sofern er nicht bereits durch eine Leistungserklärung nach der EU-BauPVO abgedeckt ist – insbesondere auch durch Gütesiegel (alternativ Einzelnachweis) geführt werden. Erklärt der Hersteller sich nicht, läuft er Gefahr, dass sein Produkt bei der Kaufentscheidung nicht berücksichtigt wird. Sein Produkt steht insoweit im Wettbewerb zu anderen Produkten.

Es handelt sich also im Ergebnis um eine kaufvertragliche Lösung im Sinne des fairen und freien Wettbewerbs.

Derartige Systeme sind im Übrigen im Europarecht vorgezeichnet (Vergaberecht, Dienstleistungsrichtlinie) und durch die EuGH-Rechtsprechung zum Vergaberecht abgesichert.

Die EU-BauPVO verbietet es den Marktteilnehmern (selbstverständlich) auch nicht, Forderungen bezüglich der Bauprodukte zu stellen und/oder kaufvertragliche Vereinbarungen zu treffen.

Unzulässig wäre nur, (technische) Angaben auf der Grundlage anderer Messverfahren zu treffen als die, die in einer harmonisierten Norm vorgegeben sind. Das läge auch nicht im Interesse der Käufer, die auf dieser Basis (einheitliche Bewertungsverfahren) zu Recht eine verlässliche Vergleichsmethode erwarten.

Da die Gütesiegel von unabhängigen (Zertifizierungs-)Stellen vergeben werden, die allen Herstellern europaweit offenstehen, und die Bedingungen unter Beteiligung aller Marktteilnehmer transparent erarbeitet werden, besteht auch keine Marktabschottung, zumal auch die Zertifizierer ihrerseits im Wettbewerb stehen.

Außerdem können/sollten die Gütesiegel auch die Anforderungen verschiedener Mitgliedstaaten abdecken und damit über den Anwendungsbereich eines einzelnen Mitgliedstaates hinausgehen. Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit wäre dies aus Sicht der Hersteller sicher zu begrüßen.

Die Umsetzung in der MBO-Novelle bleibt abzuwarten.

Die Betonfertigteilhersteller stellen sich aber schon jetzt die Frage, ob das Bauen mit Betonfertigteilen auch in Zukunft weiterhin den Regelungen der „Bauart“ Beton-, Stahlbeton- und Spannbetonbau unterworfen wird oder ob es sich zukünftig bei Betonfertigteilen nach hEN ausschließlich um ein Bauprodukt nach EU-BauPVO handelt, und befürchten Marktverzerrungen zum Nachteil der Betonfertigteilindustrie, insbesondere gegenüber Substitutionsprodukten (z. B. Ortbeton oder Kunststoff), da die Rechtslage speziell für den Bereich der Betonfertigteile sehr viel unübersichtlicher wird und gegebenenfalls Planer und Bauausführende aus Angst vor Haftungsrisiken vor der Verwendung von Betonfertigteilen zurückschrecken. Die Hersteller sehen ihre Anliegen durch den Entwurf der MBO jedenfalls noch nicht als befriedigend gelöst an.

x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 02/2016 Zum Stand des Umbaus des bauaufsichtlichen Konzepts

Folgen des EuGH-Urteils zur Bauregelliste B

Im Urteil vom 16. Oktober 2014 stellt der Gerichtshof fest, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen die Verpflichtungen der Bauproduktenrichtlinie (Rechtssache C-100/13) verstoßen hat, weil sie...

mehr
Ausgabe 02/2013

Die Umsetzung europäischer Normen in Deutschland

In der Baunormung werden für Produkteigenschaften, für Prüfverfahren, um solche Produkteigenschaften zu ermitteln, für die Bauausführung oder die Bemessung von Bauwerken einheitliche Vorgaben...

mehr
Ausgabe 02/2019 Von der Bauproduktenverordnung zur MVV TB

Privatrechtliche Lösung – Herstellererklärung und Anforderungsdokumente

Die CE-Kennzeichnung gibt keinen Hinweis darauf, ob und wie ein Bauprodukt verwendet werden darf. Nationale Zusatzanforderungen, die über die in den harmonisierten Produktnormen festgelegten...

mehr
Ausgabe 02/2013 Was erwartet die Hersteller?

Auswirkungen der neuen Bauproduktenverordnung auf die CE-Kennzeichnung

Am 4. April 2011 wurde die „Verordnung (EU) Nr. 305/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten und zur Aufhebung...

mehr
Ausgabe 02/2013 Die neue DIN EN 13369

Produktnormen für Fertigteile

Die Anzahl der europäischen Produktnormen für Betonfertigteile ist auf mittlerweile über vierzig angewachsen. Einerseits unterstreicht dies die individuelle Entwicklung von Betonfertigteilen,...

mehr