NEUSTARK

Interview: „Unsere Vision: Im Jahr 2030 eine Million Tonnen CO₂ permanent entfernen“

Wie bereits mehrfach angekündigt, liebe Leserinnen und Leser, rufen wir mit dieser Ihnen vorliegenden BFT-Ausgabe 12/2023 unsere neue Rubrik „GREEN CHALLENGE“ ins Leben. Den Startschuss bildet nachstehendes Interview mit Dr. Johannes Tiefenthaler, CEO von neustark – einem Schweizer ScaleUp, das eine Lösung zur dauerhaften Speicherung von biogenem CO₂ in mineralischen Abfallströmen wie Abbruchbeton entwickelt hat. Kürzlich besuchte BFT-Chefredakteur Silvio Schade Dr. Tiefenthaler in Zürich und in der BFT 1/2024 werden wir das Unternehmen neustark ausführlich vorstellen.

Die Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5°C setzt laut IPCC voraus, dass bis zum Jahr 2050 Netto-Null-Emissionen erreicht werden müssen. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn wir neben einer erheblichen Reduktion von Emissionen auch CO2 aus der Luft entfernen. Dazu müssen wir schnell Lösungen zur CO2-Entfernung im großen Maßstab möglich machen.

Neustark ist ein führender Anbieter im schnell wachsenden Bereich von Carbon Removal (CDR) und hat eine Lösung zur dauerhaften Speicherung von biogenem CO₂ in mineralischen Abfällströmen wie Abbruchbeton entwickelt. Die ersten Anlagen sind in der Schweiz und in Europa im Einsatz und speichern bereits jeden Tag Tonnen von CO₂. Durch diesen Prozess wird das CO₂ entfernt, und zwar dauerhaft. Neustark arbeitet derzeit daran, seine Geschäftsaktivitäten und Wirkung weltweit zu steigern – auf dem Weg zur Ambition, eine Million Tonnen CO₂ permanent zu entfernen im Jahr 2030 und darüber hinaus.

BFT International: Herr Dr. Tiefenthaler, die Dekarbonisierung der Bau- und besonders der Betonbranche gehört zu den wichtigsten und v. a. zeitlich drängendsten Themen unserer Zeit. Wie genau kann Ihre neue Technologie zur Speicherung von CO2 in Beton dabei helfen?

J. Tiefenthaler: Weltweit fallen jährlich rund 1 Mrd. Tonnen Abbruchbeton an. Diesen machen wir uns zunutze. Wir bringen biogenes CO2 mit dem Abbruchbeton in Kontakt, wobei es zu einer chemischen Reaktion kommt. Das CO2 bindet sich an der Oberfläche des Abbruchbeton und wird zu Kalkstein. Somit ist es dauerhaft gespeichert. Zurzeit sind wir in der Lage rund 10 kg pro Tonne Abbruchbeton permanent zu speichern. Wir arbeiten daran, diesen Wert auf 60 kg pro Tonne zu erhöhen.

BFT International: Als junges Scale-up Unternehmen mit rund 55 Mitarbeitenden haben Sie bereits für sehr viel positives Aufsehen gesorgt. Innerhalb kurzer Zeit haben Sie schon einige Anlagen in der Schweiz in Betrieb genommen und weitere befinden sich in der DACH-Region im Aufbau. Können Sie uns näheres dazu sagen?

J. Tiefenthaler: Ende September haben wir unsere EU-weit erste Anlage in Betrieb genommen, und zwar in Berlin in Zusammenarbeit mit der Heim-Gruppe. Es markiert der Beginn unserer Expansion in Deutschland. Wir haben rund 15 weitere Projekte in der DACH-Region und Frankreich, die sich im Bau befinden. Gesamthaft haben wir Stand heute 12 Anlagen in Betrieb – elf in der Schweiz und eine in Deutschland – mit einer kumulierten Speicherkapazität von 5.000 Tonnen CO2 pro Jahr.

BFT International: Ebenfalls mit großer Freude erfüllte mich persönlich die Nachricht, dass sich mein früherer Arbeitgeber Holcim, einer der Big Player in der Zement- und Betonproduktion, verpflichtet hat, die CO₂-Speichertechnologie von neustark auf seinen Recyclingwerken weltweit einzuführen. Wie haben Sie diesen Erfolg zuwege gebracht und mit wieviel Tonnen gespeichertem CO2 rechnen Sie dabei?

J. Tiefenthaler: Diese strategische Kooperationsvereinbarung war das Resultat von rund 18 Monaten erfolgreicher Zusammenarbeit. Wir haben mit Holcim mehrere Projekte durchgeführt und auch seit Mai 2023 eine mobile Speicheranlage für sie gestellt. Auf beiden Seiten entstand über die Monate den Wunsch, nicht nur projektbasiert zusammenzuarbeiten, sondern auch strategisch. Wir wollen im Jahr 2030 eine Million Tonnen CO2 dauerhaft entfernen. Unsere strategische Partnerschaft mit Holcim macht ein wesentlicher Teil unserer Megatonnen-Roadmap aus.

BFT International: Apropos: Aus meiner eigenen früheren Zeit bei Holcim kann ich mich noch sehr gut an ein besonderes Leuchtturmprojekt erinnern. Von 2003 bis 2011 wurden nahezu 1 Millionen m³ Salzbeton hergestellt, um ein früheres Bergwerk an der innerdeutschen Grenze für die sichere Endlagerung von radioaktiven Abfällen (bis zu 1 Mio. Jahre) zu ertüchtigen. Für welchen Zeitraum ist aus Ihrer Sicht vergleichsweise das CO2 in Beton speicherbar?

J. Tiefenthaler: Der Mineralisierungsprozess – das Herzstück der neustark-Technologie – ermöglicht eine dauerhafte CO2-Speicherung. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass der Anteil des durch Mineralisierung gespeicherten CO2, der nach 1‘000 Jahren noch vorhanden ist, virtuell 100% betragen wird. Selbst wenn der Beton, in dem das CO2 gespeichert ist, immer wieder abgerissen wird, wird das CO2 nicht wieder in die Atmosphäre freigesetzt. Es gibt viele Negativemissionstechnologien (NET), die in der Theorie und zunehmend auch in der Praxis tragfähig sind. Sie alle haben ihre Vorteile, aber die Mineralisierung – auf der das Verfahren von neustark basiert – ist eine der wenigen Technologien, die eine dauerhafte CO2-Entfernung gewährleistet.

BFT International: Ist das mit dem CO2 angereicherte Betongranulat quasi als Lagermaterial gedacht oder – als die aus unserer Sicht deutlich bessere Alternative – kann dieses in irgendeiner Form weiterverwendet werden?

J. Tiefenthaler: Das carbonatisierte Betongranulat kann im Straßenbau oder auch für die Herstellung von RC-Beton verwendet werden. Letzteres ist in der Schweiz schon sehr oft der Fall, in Deutschland ist es noch nicht so sehr verbreitet. Die Qualität des angereicherten Betons steht dem herkömmlichen Beton in Nichts nach und kann problemlos im Hoch- und Tiefbau eingesetzt werden. Je nach Mixdesign des Betonherstellers ist sogar die Druckfestigkeit erhöht und es kommt zu Zementeinsparungen.

BFT International: Herr Dr. Tiefenthaler, besten Dank für das Gespräch und viel Erfolg weiterhin!

      Interview: Dipl.-Ing. (FH) Silvio Schade, Chefredakteur BFT International

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3018 Bern/Switzerland

www.neustark.com

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