Öffentlicher Konsens statt Vorwegentscheidungen

8. Heidelberger Bauforum diskutierte Chancen und Risiken großer ­Projekte

Baukultur im 21. Jahrhundert ist Dialogkultur. Zumindest sollte sie es sein.

Offen, transparent und auf Augenhöhe: So erwartet die Öffentlichkeit die Planung großer Projekte. Doch dieser neue Anspruch auf Partizipation und Mitgestaltung scheitert noch viel zu oft an traditionellen Verfahrensmustern und veralteten Beteiligungsformen der Öffentlichkeit im städtischen Planungsprozess. Es stellt sich somit die Frage: Wie können bei komplexen Planungsprozessen aus Gegensätzen Gemeinsamkeiten entstehen? Wie können unterschiedliche Vorstellungen in einer „Sprache“ kommuniziert und zusammengeführt werden?

Diese und weitere Fragen zu Chancen und Risiken von großen Projekten diskutierten die Teilnehmer des 8. Heidelberger Bauforums am 21.  und 22. September 2011. „Große Projekte! Smart is beautiful – Stadtumbau, Konversion, Masterpläne“ lautete der Titel der Veranstaltung, zu der rund 250 Entscheider aus den unterschiedlichen Bereichen des Bauens ins Portland Forum nach Leimen kamen. Zehn hochkarätige Experten betrachteten das Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln, indem sie Denkanstöße gaben, neue Trends präsentierten und städtebauliche Konzepte und Visionen vorstellten.

 „Heute gibt es fast kein Projekt, gegen das es nicht Widerstand in der Bevölkerung gibt“, stellte Andreas Kern, Mitglied des Vorstands, in seiner Eröffnungsrede fest. „Vor diesem Hintergrund hat es Sinn, sich mit dem Thema „Große Projekte“ kritisch auseinander zu setzen. Fehler werden auf allen Seiten gemacht und es braucht eine gewisse Offenheit und auch viel Mut, dies zuzugeben und nach Änderungsmöglichkeiten zu suchen.“

 Diese Meinung vertrat auch Alexander Wetzig, Bürgermeister und Leiter des Baudezernats von Ulm.

In seinem Vortrag: „Planen und Stadtentwicklung als diskursiver Prozess“ bestätigte Wetzig, dass Planungsprozesse vielschichtiger, komplexer und ausdifferenzierter werden.

Notwendig sei deshalb eine grundlegende Neuorientierung des öffentlichen Planungsprozesses: Anstatt Planung zu kommunizieren, müsse Planung selbst als Kommunikationsprozess verstanden und organisiert werden. „Die Partizipation von Bürgern im lokalen Planungs- und Baugeschehen ist heute ein unverzichtbares Element zur Stärkung kommunalpolitischer Selbstverantwortung und stadtgesellschaftlicher Identifikation“, so Wetzig.

 „Um große Projekte mit einer überzeugenden Stadtidee zu verbinden, bedarf es einer Strategie, die mit dem Wesen der Stadt im Einklang steht“, forderte Annette Friedrich, Leiterin des Stadtplanungsamt Heidelberg, in ihrem Vortrag  „Wissen schafft Stadt – Stadtidee und große Projekte“.  Wichtig sei es, Stadträume zu einer Heimat werden zu lassen, in der sich Bürger wohlfühlen. Als aktuellen Meilenstein stelle Friedrich dazu das Projekt „Bahnstadt“ vor. Mit der Entwicklung des neuen Stadtquartiers, einem 116 Hektar umfassenden ehemaligen Güterbahngelände, soll für etwa 5.000 Bewohner und 7.000 Beschäftigte ein neuer Stadtteil entstehen. Mit einem hohen Qualitätsanspruch an das Wohnen soll es gelingen, der Abwanderung durch zu hohe Wohnkosten und mangelnden Wohnraum Einhalt zu gebieten.

 Die Zukunft der Stadt im 21. Jahrhundert gestalten: Dieser Aufgabe stellt sich die Internationale Bauaustellung IBA Hamburg 2013, die Thema des Vortrags von Geschäftsführer Uli Hellweg war. Der Bau von flexibel nutzbaren Hybrid Houses, CO2-neutralen Smart Material Houses oder Smart Price Houses stellten dabei nur drei Beispiele von vielen dar, wie man Quartiere zu Vorbildern in Vielfalt und sozialem Zusammenhalt sowie im Umwelt- und Klimaschutz entwickeln kann.

 Vor dem Hintergrund der aktuellen Energiedebatte und dem Entschluss bis 2022 vollständig aus der Kernenergie auszusteigen, steht Deutschland in den kommenden Jahren vor einer großen Herausforderung: Wie erreichen wir eine nachhaltige neue Energiebasis, die uns sichere, klimafreundliche Energie liefert? Welche Rolle spielen die erneuerbaren Energien? Wie müssen Netze und Speichertechnologien ausgebaut werden? Holger Gassner, Leiter Politik und Märkte bei der  RWE Innogy GmbH, stellte das 2008 gegründete Unternehmen vor, das schon jetzt rund 2.500 Megawatt Kraftwerkskapazität auf Basis von Windkraft, Biomasse, Wasserkraftund neuen Technologien betreibt. Gassner beurteilte den Ausbau regenerativer Energie als richtig, den angestrebten Zeitplan, diese als vollständige Substitution für Kernenergie nutzen zu können, allerdings mehr als ehrgeizig. Er appellierte deshalb, dass die Energiewende als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden muss und nicht auf den Schultern einiger weniger politischer oder wirtschaftlicher Akteure ausgetragen werden darf.

 Bauten zur Energiegewinnung sind meist funktional und aufgrund dessen selten kunstvoll. In Kempten gelang nun Becker Architekten, Kempten, mit dem Iller-Wasserkraftwerk ein ästhetischer Betonbau, der die Identität des Ortes nachhaltig stärkt. In seinem Vortrag „Infrastruktur dramatisch: Das Iller-Wasserkraftwerk“ bewies Michael Becker eindrucksvoll: Mut zu Unerwartetem wird belohnt.

 Unter dem Titel „Berlin: Sofortstadt, Raumstadt, Hauptstadt“ stellte Manfred Kühne, Abteilungsleiter Städte­bau und Projekte der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin, das momentane Megaprojekt  „Tempelhof“ vor – eine besondere politische und ökonomische Herausforderung.  „Bei diesem Projekt werden exemplarisch Identitätsfragen und Konflikte der wiedervereinigten und noch immer in starken Umbrüchen befindlichen Stadtgesellschaft Berlins ausgetragen.“ Denn: Die Entwicklung des ehemaligen Flughafenstandorts soll nicht nur Impulse für die Metropolentwicklung insgesamt geben, sondern auch die Bedürfnisse der sehr unterschiedlichen Nachbarquartiere in Tempelhof, Neukölln und Kreuzberg berücksichtigen.

 Ein Campus mit höchstem architektonischem Anspruch, gestaltet von weltweit renommierten Architekturbüros wie Frank O. Gehry, David Chipperfield, Tadao Ando und Álvaro Siza. Darüber berichtete Marco Serra, Projektleiter Architektur Novartis-Campus.  Dass auf dem Werksgelände von Novartis in Basel/Schweiz bis 2030 in den zahlreichen Bürogebäuden, Forschungs- und Produk­tionseinrichtungen ein Zentrum des Wissens, der Innovation und Begegnung entsteht, gerät angesichts der geballten Architekturprominenz fast in den Hintergrund.

 Wie Städte der Zukunft aussehen könnten, präsentierte Prof. Tobias Walliser, Laboratory for Visionary Architecture, Stuttgart, mit der Masdar-City in Abu Dhabi. Geplant war dort einst die erste Co2-neutrale Solarstadt. Die Vision: Elektronisch gesteuerte Sonnenschirme im XXL-Format sollten die Stadt tagsüber kühlen und die Kraft der Sonne durch integrierte Fotovoltaikzellen nutzen. Nachts sollten die Schattenspender eingeklappt werden, um die Auskühlung des öffentlichen Raums zu beschleunigen. Was nach einem Märchen aus Tausend und einer Nacht klingt, ist die reale Kunst einer neuen Generation digital ausgebildeter Architekten, für die Entwerfen nahe bei Erfinden liegt. In Zukunft vielleicht nicht mehr nur auf dem Papier.

 Nach dem Kongress waren sich alle Beteiligten einig: Was ein großes Projekt ist, definiert jeweils die Situation, in der es entsteht. Es hängt immer von der Perspektive ab, aus der es betrachtet wird. Und zuletzt mit der Hoffnung und dem Ziel, im Ergebnis große Qualität abzuliefern und auf diese Weise allgemein große Zufriedenheit zu erzeugen. Das nennen wir dann: Baukultur.

 

 Studierende entwickeln im Wettbewerb Ideen zu „Wissen schafft Stadt“

Die Förderung des interdisziplinären Dialogs im Bauwesen soll Studentinnen und Studenten zum konstruktiven Dialog und kreativen Teamplaying anregen sowie fachübergreifende Denk- und Arbeitsweisen fördern. Aus diesem Grund hat die HeidelbergCement AG begleitend zum jeweiligen Kongressthema des Heidelberger Bauforums einen Studentenwettbewerb ins Leben gerufen, der sich in diesem Jahr mit dem Thema „Wissen schafft Stadt“ beschäftigte.

Die Preisverleihung fand im Rahmen des Bauforums am 22. September 2011 in Leimen statt. Durchgeführt und betreut wurde der Wettbewerb vom Lehrstuhl „Städtebau und Entwerfen“ der Universität Stuttgart, der in Absprache mit dem Stadtplanungsamt Heidelberg einen Masterplan für die Stadt Heidelberg zum Thema des Wettbewerbs gemacht hat. Teilgenommen haben Studierende des Fachbereichs Architektur im Rahmen einer Studienarbeit.

 

Zukunftsvision für das Jahr 2030

Wie müssen Orte beschaffen sein, damit sie zwischen Wissenschaftswelt und Stadtgesellschaft vermitteln können? Unter dieser Fragestellung sollten die Studierenden räumliche Strategien entwickeln, mit denen die unterschiedlichen Wissenschaftsstandorte in Heidelberg besser integriert und miteinander vernetzt werden können. Ziel des Ideenwettbewerbs war es, für Heidelberg eine Vision als Wissenschaftsstadt im Jahr 2030 zu entwickeln, die sich am Leitbild der „europäischen Wissenschaftsstadt“ orientiert. Die Studierenden hinterfragten dabei nicht nur bestehende städtebauliche und architektonische Planungen in Heidelberg, sondern entwarfen und verknüpften sie mit neuen Ansätzen. Ganz konkret wurden anschließend mehrere Flächen zwischen dem bestehenden Campus im Neuenheimer Feld und dem neuen Campus in der Bahnstadt näher untersucht. Dabei hatten die Studierenden nicht nur bauliche Themen im Blick, sondern berücksichtigten auch kulturelle, wirtschaftliche und soziale Fragestellungen.

In der Jury des Wettbewerbs waren vertreten: Lehrstuhlinhaber der Hochschule Stuttgart und Fachhochschule Frankfurt, Vertreter des Bereiches Landschafts­architektur, Vertreter des Stadtplanungsamtes Heidelberg sowie ein freier Journalist. Der Wettbewerb ist mit 5.000 Euro dotiert.

 

Die Preisträger

Till Krüger (1. Preis)

Um Heidelberg als Wissenschaftsstadt am Neckar nachhaltig profilieren zu können, regt Preisträger Till Krüger ein Umdenken bezüglich der innerstädtischen Verkehrsführung an. In seinem Entwurf schlägt er eine Bündelung des Hauptverkehrs durch eine Innenstadtumfahrung und eine fünfte Neckarbrücke vor. Für Krüger gilt der Neckar als Herzstück und Rückgrat der Wissenschaftsstadt. Die Erweiterung der Hauptstraße in Ost-West-Richtung entlang der Bergheimer Straße verbindet demnach in Form eines Wissenschaftsboulevards die Hochschulstandorte wie Perlen an einer Schnur.

 

Jennifer Maier (1. Preis)

Schwerpunkt des Entwurfs von Preisträgerin Jennifer Maier ist es, den Austausch zwischen den Bewohnern Heidelbergs, den Angestellten und den Studenten im Campus am Neuenheimer Feld zu verstärken. Dabei sollen gezielt Schnittstellen zwischen der Bevölkerung und der Universität in unterschiedlichen Bereichen des alltäglichen Lebens wie Freizeit, Unterhaltung, Erholung und Kultur geschaffen werden. Als erste Maßnahme empfiehlt die Preisträgerin etwa den Bau eines neuen Uniforums mit Uniplaza am westlichen Ende der Ernst-Walz-Brücke mit Zugang zum Neckar. Dieses soll als Eingangsbereich für den Campus dienen.

 

Andreas Lerchl und Stephan Wildermuth (2. Preis)

In ihrem Entwurf verstehen die beiden Preisträger Andreas Lerchl und Stephan Wildermuth Heidelberg als Vorbild für andere Wissenschaftsstädte, nicht nur in Bezug auf die Wissenschaften, sondern auch auf die Lebensqualität und eine ressourcensparende Lebensweise. Der Neckar wird dabei als Schlüssel gesehen, um die Stadt besser zu vernetzen. Hier sollen demnach zahlreiche kleine Parks und Hauptfahrradwege entstehen. Die beiden Preisträger sehen in ihrem Entwurf zudem den Ausbau der Fahrradwege im gesamten Stadtgebiet vor. Hierdurch soll die Vernetzung der wissenschaftlichen Einrichtungen und der Stadtteile verstärkt werden.

 

Weitere Informationen unter www.heidelberger-bau­forum.de.⇥¢

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