Neue Werkstoffe und Konstruktionsformen auf dem Weg in die Praxis
Die Entwicklung innovativer Materialien wie z. B. textilbewehrter oder ultrahochfester Beton ermöglicht die Ausführung von schlanken Konstruktionen und kommt den Ansprüchen moderner Architektur mit immer größer werdenden Stützweiten bei gleichzeitig dünnen Bauteilen nach. In dem Beitrag wird auf die Besonderheiten dieser beiden Werkstoffe eingegangen, und Anwendungen an diversen ausgeführten Praxisprojekten werden gezeigt.
Durch die Verwendung nicht-korrodierender technischer Textilien, wie z. B. von alkaliresistentem Glas (AR-Glas) oder Carbon, können die im Stahlbetonbau notwendigen Betondeckungen zur Sicherstellung der Dauerhaftigkeit erheblich reduziert werden, und es entstehen extrem schlanke Betonbauteile. Die Textilien sind maschenförmige Bewehrungsstrukturen mit Öffnungsweiten zwischen 5 mm und 45 mm. Aufgrund dieser engmaschigen Bewehrungen ist ein sogenannter Feinbeton erforderlich, der durch Größtkorndurchmesser zwischen 0,6 mm und 8 mm gekennzeichnet ist. Dieses filigrane Korngerüst ermöglicht in Kombination mit speziellen Nachbehandlungstechniken zudem hochwertige Sichtbetonoberflächen, was Textilbeton insbesondere im Bereich des Fassadenbaus zum idealen Werkstoff macht.
So wurde z. B. die 10.000 m² große Fassadenfläche des Community College in Leiden (Bild 1) mit 30 mm dicken, hinterlüfteten Textilbetonplatten eingekleidet, die Abmessungen von 642 mm × 1780 mm aufweisen. Bei einer Bauwerkshöhe von ca. 50 m und küstennaher Lage waren sehr große Windkräfte von bis zu 3,0 kN/m² aufzunehmen, die hohe Ansprüche an die Bewehrung stellten. Es wurde eine Carbonbewehrung verwendet, die im Bauteil eine charakteristische Zugspannung von ca. 1800 N/mm² aufnehmen kann [1].
Neben den hinterlüfteten Fassadensystemen findet Textilbeton auch in der Sandwichbauweise Anwendung, bei der Betondeckschichten ab 15 mm möglich sind. Diese Minimierung der Tragschichten kommt den wachsenden Anforderungen an die Wärmedämmung entgegen, die bei gleicher Konstruktionshöhe dicker ausgeführt werden kann [2].
Schließlich kann Textilbeton nicht nur im Fassadenbau, sondern auch im Brückenbau eingesetzt werden. Im Jahr 2010 wurde in Albstadt-Lautlingen eine Fußgängerbrücke mit einem extrem schlanken Überbau aus Textilbeton fertiggestellt (Bild 2). Die ca. 100 m lange Konstruktion besteht aus sechs Fertigteilen mit einer maximalen Länge von 17,20 m und zeichnet sich durch ein Schlankheitsverhältnis von nur H:L = 1:35 aus [3], [4].
Ultrahochfester Beton
Ultrahochfester Beton (UHPC) ist ein besonders gefügedichter Beton, dessen Festigkeit aus einer hohen Packungsdichte, dem hohen Bindemittelgehalt und der Zugabe von Stahlfasern resultiert. In Abhängigkeit von der Zusammensetzung und den Herstellverfahren können Druckfestigkeiten weit über 150 N/mm² ohne Wärmebehandlung erzielt werden.
UHPC verformt sich unter Druckbeanspruchung bis zum Bruch nahezu linear elastisch und besitzt im Vergleich zu Normalbeton einen deutlich größeren E-Modul (zwischen 50.000 und 55.000 N/mm²). Die erhöhte Festigkeit sowie das linear-elastische Verhalten sorgen dafür, dass sehr viel Energie gespeichert wird und der UHPC nach Überschreitung der Bruchdehnung bzw. -stauchung schlagartig versagt. Aus diesem Grund werden dem Beton Fasern beigemischt, die ein duktiles Nachbruchverhalten sicherstellen. Versuche am Institut für Massivbau der RWTH Aachen haben gezeigt, dass dies bereits bei einem Fasergehalt von etwa 0,9 Vol.-% erreicht wird.
In der Praxis wurden bereits Beispiele ausgeführt, wie z. B. die Gärtnerplatzbrücke in Kassel oder die Sherbrooke Bridge in Kanada.
REFERENCES . LITERATUR
[1] Kulas, Christian; Schneider, Maike; Will, Norbert; Grebe, Reiner: „Hinterlüftete Vorhangfassaden aus Textilbeton – Tragverhalten und Ausführung“. Bautechnik 88 (2011), Heft 5, 271-280.
[2] Horstmann, Michael; Hegger, Josef: „Sandwichfassaden aus Textilbeton – experimentelle Untersuchungen“. Bautechnik 88 (2011), Heft 5, 281-291.
[3] Hegger, Josef; Goralski, Claus; Kulas, Christian: „Schlanke Fußgängerbrücke aus Textilbeton – Sechsfeldrige Fußgängerbrücke mit einer Gesamtlänge von 97 m“. Beton- und Stahlbetonbau 106 (2011), Heft 2, 64-71.
[4] Hegger, Josef; Kulas, Christian; Raupach, Michael; Büttner, Till: „Tragverhalten und Dauerhaftigkeit einer schlanken Textilbetonbrücke – Eine 97 m lange Fußgängerbrücke mit einer Bewehrung aus AR-Glasfilamenten“. Beton- und Stahlbetonbau 106 (2011), Heft 2, 72-80.
TEXT: Hegger, Josef; Kulas, Christian; Gallwoszus, Joerg - RWTH Aachen