Betonfertigteillösung statt Holzkonstruktion für ein neues Hamburger Wahrzeichen

Das Tragwerk des Bürogebäudes Edge ElbSide in Hamburg wurde als Slim-Floor-Konstruktion ausgeführt: Spannbeton-Fertigdecken mit deckengleichen Verbundträgern. Eine frühere Version des Beitrags ist ebenfalls im Jahrbuch Beton Bauteile 2023 zu lesen (nur auf Deutsch), erhältlich in der Profil-Buchhandlung des Bauverlages.

Mit der HafenCity setzt Hamburg mindestens europaweit neue Maßstäbe für eine erfolgreiche integrierte Stadtentwicklung, die lokale Bedürfnisse und hohe Anforderungen an Urbanität und Nachhaltigkeit gleichermaßen berücksichtigt. Auf einer Fläche von 157 ha entsteht eine lebendige Stadt, die die verschiedenen Nutzungen – Arbeiten, Wohnen, Bildung, Kultur, Freizeit, Tourismus und Einzelhandel – feinmaschig zu einer „New Downtown“ am Wasser verbindet.

Mit dem markanten Bürogebäude Edge ElbSide entsteht das zweite Edge-Gebäude im Elbbrückenquartier. Am östlichen Eingang der Hamburger HafenCity, direkt am Amerigo-Vespucci-Platz, soll Ende 2023 das neue Wahrzeichen der Hansestadt fertiggestellt sein, dessen Gestaltungskonzept ein kooperatives Arbeitsumfeld unterstützt, in dem innovative Ideen gedeihen können.

Das 16-geschossige Bürogebäude mit einer Gesamtmietfläche von rund 24.000 m² bietet Raum für ca. 1.700 Arbeitsplätze. Hauptmieter wird ein bekanntes Energieunternehmen, das rund 80 % der Flächen beziehen wird.

 

Vorreiterrolle

Den Architektenwettbewerb um das neue Edge ElbSide hat Behnisch Architekten aus Stuttgart vor dem Hamburger Architekturbüro Blauraum gewonnen. Das Ingenieurbüro Assmann Beraten + Planen GmbH ist mit der Tragwerksplanung beauftragt und die Zech Group SE errichtet als Generalunternehmer das neue Hamburger Wahrzeichen von 2021 bis 2023.

Das Gebäude spiegelt die Philosophie wider, nach der die niederländischen Projektentwickler Edge ihr Handeln ausrichten: „Die Verwirklichung einer CO2-neutralen Umwelt. Als Projektentwickler möchten wir zu einer besseren und nachhaltigeren Welt beitragen, in der Mensch und Umwelt im Mittelpunkt stehen. Wir übernehmen eine Vorreiterrolle und möchten damit auch andere inspirieren.“ So ist es auf der Edge-Internetseite zu lesen.

 

Umweltzeichen HafenCity in Platin

Edge ElbSide strebt das Umweltzeichen HafenCity in Platin sowie die Well Core & Shell-Auszeichnung in Gold vom International Well Building Institute (IWBI) an. Letzteres Zertifikat bewertet den allgemeinen Innovationsgrad von Gebäuden und Maßnahmen, der explizit der Gesundheit und dem Wohlbefinden der Nutzer dient.

Die technologische Strategie bei Edge ElbSide zielt auf maximale Nachhaltigkeit und basiert auf der Edge-Next-Plattform. Die im Gebäude verbauten, neuartigen Plug-and-Play-Multisensoren messen gleichzeitig Luftqualität, Lichtverhältnisse, Temperatur und Raumnutzung. In der Cloud werden diese Daten dann feinmaschig aufgeschlüsselt und automatisiert nach Maßgabe höchster Energieeffizienz justiert. Mit einer angeschlossenen Gebäude-App können die Mitarbeiter*innen unter anderem Lichtstärke und Temperatur individuell steuern. Auf dem Dach wird zusätzlich eine Photovoltaikanlage installiert.

 

Betonfertigteillösung besser geeignet als Holzkonstruktion

Bei der Planung des Gebäudes wurden die Beteiligten mit unerwarteten Problemen konfrontiert. Die Wettbewerbsvorgaben forderten einen kompletten Holzbau, um den Nachhaltigkeitsansprüchen gerecht zu werden. Der Siegerentwurf zeichnete sich allerdings durch seine mehrgeschossigen Wintergärten, offenen Nutzungseinheiten mit großen Deckenstützweiten und stützenfreien, wandelbaren Räume und Galerien aus. Es stellte sich die Frage, ob der geplante Holzbau immer noch die richtige Antwort war.

Das angedachte Konstruktionsprinzip – bestehend aus Brettschichtholz-Doppelstützen und Hybriddecken aus Holz-Beton-Verbundelementen – musste aufgegeben werden: Die hohen Anforderungen an das Tragwerk und an den Brandschutz waren in Holz wirtschaftlich nicht abzubilden. Zur Auswahl standen drei Tragwerksalternativen: Flachdecke mit deckengleichen Unterzügen, Flachdecke mit Flachunterzügen und Spannbeton-Fertigdecken mit deckengleichen Verbundträgern (Slim-Floor-Konstruktion). Das Ingenieurbüro Assmann erstellte eine Vergleichsanalyse. Die Wahl fiel auf die Fertigteillösung aus Spannbeton-Fertigdecken und Verbundträgern.

Die Vorteile waren der schnellere Baufortschritt, die niedrigen Rohbauhöhen trotz großer Spannweiten (26,5 cm Deckenstärke bei maximal 9,45 m Stützenachsmaß), die Materialeinsparungen (ca. 50 % weniger Beton und 80 % weniger Stahl als bei schlaff bewehrten Betondeckensystemen) und damit verbunden das geringere Gesamtgewicht des Gebäudes sowie die geringeren Schadstoffemissionen (ca. 20 % weniger CO2) und Energieverbräuche (ca. 20 % weniger Primärenergie) im Vergleich zu den anderen Betondeckensystemen.

Damit wird das Edge ElbSide Deutschlands höchstes Bürogebäude in Slim-Floor-Konstruktion. Die Lastweiterleitung zu den Gründungspfählen erfolgt über ein Stahlbeton-Stützenskelett, das in den Außenbereichen auch die vorgefertigten Aluminiumfassaden mit vertikalen, vorgesetzten Lisenen bzw. Schwertern aufnimmt.

 

Ein Bürogebäude als „Marktplatz“

Edge ElbSide Hamburg blickt über die typische monotone Abfolge von Einzelbüros entlang der Flure hinaus. Stattdessen fördert es eine offene und extrovertierte Kommunikation des Einzelnen mit seinem Umfeld, denn alles dreht sich um die Menschen, die sich in die Arbeitswelt begeben.

Über die Eingangsplaza im Inneren führt eine einladende Freitreppe ins Mezzaningeschoss. Von dort ermöglicht eine offene Treppe im Bereich der sogenannten Magistrale, dem kommunikativen „Marktplatz“, geschossübergreifend eine vertikale Verbindung über sechs Etagen. Geprägt wird das Edge ElbSide von begrünten Wintergärten, die klimatische Zwischenzonen bilden. Sie öffnen sich geschossübergreifend, sind ganzjährig nutzbar und im gesamten Gebäude zu finden. Als Teil des Klimakonzepts schaffen sie Pufferzonen, in denen die Frischluft vorgewärmt wird, und ermöglichen eine kontrollierte, natürliche Querlüftung im Bürogebäude. Zudem senken sie den Energieverbrauch deutlich. Im Bereich des Turmes verleihen zweigeschossige Atrien den Arbeitsbereichen zusätzliche Großzügigkeit und fördern die Kommunikation zwischen den Ebenen, denn sie schaffen individuelle Arbeits- und Begegnungsmöglichkeiten. Die Wintergärten dienen zudem als Orientierungspunkte entlang der „Hauptstraße“. Das Energiekonzept basiert auf der Maximierung von Modularität, Flexibilität und Wohnqualität im Einklang mit der Umwelt. Aus diesem Grund werden die Wintergärten bewusst eingesetzt, sodass eine Verbindung von Außen und Innen entsteht.

Bautafel

Bauherr: OVG Real Estate, Amsterdam/NL

Architektur: Behnisch Architekten, Stuttgart/D

Tragwerksplanung: Assmann Beraten + Planen GmbH, Dortmund/D

Generalunternehmer: Zech Group SE, Bremen/D

Spannbeton-Fertigdecken: DW Systembau GmbH, Schneverdingen/D

Betonfertigteilstützen, Verbundträger: Peikko GmbH, Waldeck/D

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