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67. BetonTage: Impulsgeber für die Transformation

Vom 20. bis 22. Juni 2023 fanden die BetonTage im Congress Centrum Ulm statt. „Zeitenwende im Betonbau“, so lautete das diesjährige Motto des Branchenevents. „Das Bauen nachhaltiger zu gestalten, das ist die Herausforderung! Die BetonTage wollen hierfür Impulse geben, den Wissenstransfer fördern und die Innovationen vorantreiben“, so Friedrich Gebhart, Präsident des ursprünglich initiierenden Fachverbandes Beton- und Fertigteilwerke Baden-Württemberg, bei der Eröffnung. Die Vorträge aus Wissenschaft und Praxis befassten sich schwerpunktmäßig mit der Dekarbonisierung, Ressourceneffizienz und Digitalisierung. Rund 1.800 Personen nahmen am Kongress teil und informierten sich über die Potenziale des Betonfertigteilbaus.

Status quo in der Bauwirtschaft

Zur Eröffnung standen die aktuellen Rahmenbedingungen in der Bauwirtschaft im Fokus. Preissteigerungen bei Energie, Kraftstoffen oder Zement, steigende Kreditzinsen und Kürzungen bei der Wohnraumförderung trüben derzeit den Blick in die Zukunft.

Prof. Bernd Raffelhüschen von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg nahm die Demografie und damit die Perspektiven der Immobilienwirtschaft unter die Lupe. Bis zum Jahr 2050 werden statt 84 nur noch 60 Millionen der heutigen Einwohner leben, rund neun Millionen von ihnen werden älter als 80 Jahre sein. Dies hätte nicht nur auf das soziale Sicherungssystem, sondern grundsätzlich auch auf den Immobilienmarkt negative Auswirkungen. Allerdings, so die positive Botschaft, steige auch in den kommenden Jahren die Zahl der Haushalte, der Bau- und Wohnungsbedarf nehme also keineswegs ab. Und eine stärkere Zuwanderung könne langfristig auch die Immobilienentwicklung positiv beeinflussen, erklärte der Finanzexperte.

Dr. Ludwig Möhring, Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG), Hannover, sieht die aktuellen Rohstoffpreise als das „neue Normal“ und dämpfte so die Erwartungen an Kostenentspannungen. Gleichzeitig würden so aber auch weitere Effizienzfortschritte vorangetrieben.

Ein Umdenken im Bauwesen forderte Prof. Manfred Curbach, Technische Universität Dresden. „Wir müssen anders und effizienter bauen: ressourcenschonender, leichter, schlanker und vor allem CO2-neutral.“ Angesichts der verbleibenden Zeit bis 2045 müssten nicht eine, sondern Hunderte von disruptiven Lösungen umgesetzt werden. Dabei kritisierte er vor allem die Geschwindigkeit, mit der neue Entwicklungen bisher umgesetzt werden. Er plädierte für die Errichtung eines Bauforschungszentrums und bat um die Unterstützung der Bauindustrie. Außerdem bedürfe es schnellerer Zulassungsverfahren und einer Anpassung der Studien- und Ausbildungsinhalte im Baubereich, um den Herausforderungen des Klimawandels adäquat zu begegnen.


Dekarbonisierung der Zementindustrie

Als energie- und emissionsintensive Branche trägt die Zementindustrie eine besondere Verantwortung beim Klimaschutz. Mit innovativen Technologien will die Branche bis 2050 klimaneutralen Zement herstellen. Zahlreiche Beiträge auf den BetonTagen befassten sich daher mit klinkerarmen oder CO2-reduzierten Zementen sowie zementsubstituierenden Sekundärstoffen. Eine entscheidende Rolle bei der Dekarbonisierung der Wertschöpfungskette Zement und Beton spielt die CO2-Abscheidung im Zementwerk und dessen anschließende Nutzung (Carbon Capture & Utilization) bzw. Speicherung (Carbon Capture & Storage).

Vorreiter in diesem Bereich ist Norwegen, das dieses Jahr auch Gastland auf den BetonTagen war und über seine Erfahrungen berichtete. Aktuell entsteht dort vor der Westküste der größte unterirdische Speicher für CO2. Ziel ist es, die Machbarkeit der Kohlendioxideinlagerung im Meeresboden im großindustriellen Maßstab zu demonstrieren und ein internationales Transportnetz aufzubauen, um aufgefangenes CO2 aus ganz Europa für 1.000 Jahre hier zu speichern. Außerdem wird in einem Zementwerk in Brevik die weltweit erste Anlage zur Full-Scale-CO2-Abscheidung und -speicherung errichtet. 400.000 t CO2 sollen hier jährlich abgeschieden werden.


Impulse für Herstellerwerke

Wichtige Anregungen für die Hersteller von Betonbauteilen boten die segmentspezifischen Podien, die mit den einschlägigen Fachorganisationen konzipiert wurden – vom konstruktiven Fertigteilbau über Betonwerkstein bis hin zu Betonpflastersteinen und -kanalsystemen. Im Podium „Vorfertigung“ wurden zum Beispiel verschiedene Einsatzmöglichkeiten von Recyclingbeton im Fertigteilbau aufgezeigt. Ebenso wurden textilbewehrte Betonfertigteilfassaden, die mit Photovoltaik-Kleinmodulen ausgestattet sind, vorgestellt. Außerdem können bereits heute tragende und nichttragende Innenwände für Mehrfamilienhäuser mit 100%igem Natursteinersatz produziert werden. Eine Verbesserung der CO2-Bilanz von Betonfertigteilen ist zudem durch die Verwendung von Hochleistungsbetonen möglich, wie ein weiteres Beispiel demonstrierte. Sie führen zu reduzierten Bauteildicken sowie Einsparungen von Baustoffmassen und Gewicht. Das wirkt sich positiv auf die CO2-Emissionen bei der Herstellung und bei der Baustelleneinrichtung und -logistik aus. Ressourcenschonung und Dekarbonisierung stehen auch bei der Konstruktion, Herstellung und Verarbeitung von Betonwerkstein immer mehr im Fokus. Das Podium „Betonwerkstein“ zeigte mit schlanken Bauteilen und CO2-reduziertem Weißzement, wie dies in der Praxis umgesetzt wird.

Unter dem Titel „Lebensräume gestalten“ informierten sich die Hersteller von Erzeugnissen für den Straßen-, Garten- und Landschaftsbau über die Folgen des Klimawandels und die Wege zur klimaneutralen Betonsteinproduktion. Hierzu gehört beispielsweise auch der neuentwickelte Vermeidungskostenrechner, der als Grundlage zur Ermittlung des CO2-Fußabdrucks eines Unternehmens dient. Im Podium „Innovativer Leitungs- und Kanalbau“ wurden u. a. die neuen Verbands-EPD für Rohre und Schächte aus Beton und Stahlbeton vorgestellt. Interessant war auch der Beitrag über ein innovatives Betonkanalsystem. Es ist vollständig zementfrei und verursacht im Vergleich zu herkömmlichen Produkten bis zu 70 % geringere CO2-Emissionen.

Die nachhaltige Transformation der Industrie hin zur Klimaneutralität stand auch beim Podium „Wirtschaft und Recht“ auf der Agenda. Ein Fertigteilhersteller berichtete über seine Erfahrungen bei der Ermittlung des ökologischen Fußabdrucks seiner Produkte. Der Bund Güteschutz Beton- und Stahlbetonfertigteile stellte das neue, eigens für die Betonfertigteilindustrie entwickelte Nachweissystem „Sustainable Precast“ vor. Ab Herbst 2023 können sich Unternehmen aus der Branche danach zertifizieren lassen und ihren ökologischen Fußabdruck ermitteln. Im zweiten Programmteil gab es wertvolle Tipps zu arbeits- und baurechtlichen Fragestellungen, aber auch zur erfolgreichen Generierung von Social-Media-Leads.

Zahlreiche Impulse für den betrieblichen Alltag bot auch die begleitende Ausstellung. Sie war in diesem Jahr wieder ausgebucht. Unternehmen der Zuliefer-, Maschinen- und Softwareindustrie präsentierten ihre Dienstleistungen und Produkte. Einige von ihnen hatten zusätzlich die Möglichkeit, über ihre Neuentwicklungen im „Forum Innovation“ zu informieren.


Neue Chancen mit Carbonbeton

Carbonbeton findet immer mehr Einzug in die Betonfertigteilwerke und bietet ein großes Potential für das klimafreundliche Bauen. In Kooperation mit dem Composites United e. V. – Netzwerk CU Bau bot der Veranstalter daher wieder ein spezielles Podium dazu an. Vorgestellt wurden u. a. neue nichtmetallische Bewehrungen, innovative Befestigungsmöglichkeiten von Fassaden aus Carbonbeton sowie ein Forschungsprojekt aus der Schweiz, das den Einsatz von Carbonbeton im Wohnungsbau forcieren möchte.

Um das Thema Carbonbeton kam das Podium „Beton in der Tragwerksplanung“ ebenfalls nicht herum. So wurden beispielsweise das erste Bemessungsprogramm für Stahlbetonbauteile mit einer Carbonbetonverstärkung präsentiert und die neue Richtlinie für nichtmetallische Bewehrung vom Deutschen Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb) vorgestellt. Sie soll das Bauen mit Carbonbeton vereinheitlichen und erleichtern.


Schulterschluss mit den Marktpartnern

Seit 2020 findet der „Zukunftstag Bauwirtschaft“ statt. Er wird gemeinsam mit dem Verband der Bauwirtschaft ausgerichtet. Ziel ist es, alle Beteiligten der Wertschöpfungskette Bau – von den Forschungsinstituten, Planungs- und Architekturbüros über die Betonfertigteilhersteller bis hin zu den ausführenden Bauunternehmen – mit ins Boot zu holen. Ulrich Nolting vom InformationsZentrum Beton bot zu Beginn des Tages einen Überblick über die Nachhaltigkeitsvorteile des Baustoffs Beton. Prof. Lucio Blandini, Vorstand der Werner Sobek AG und Leiter des Instituts für Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren an der Universität Stuttgart, zeigte anhand von realisierten Projekten im In- und Ausland, wie Konstruktionen leichter und ressourcenschonender hergestellt werden können. Thomas Zawalski, Geschäftsführer von solid UNIT Deutschland, Berlin, wies in seinem Beitrag auf das hohe Innovationspotenzial mineralischer Baustoffe hin. Sie bieten den größten Hebel, um dem Klimawandel entgegenzusteuern.

Was bereits an Ressourceneffizienz und Treibhausgaseinsparungen realisiert werden kann, demonstrierten diverse Objektberichte: das Fabrik Office beispielsweise, das derzeit in München nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip errichtet wird, oder das Edge East Side, Berlins höchstes Bürogebäude, bei dem CO2-ärmere Betone zum Einsatz kamen. Ein aktuelles Forschungsprojekt befasst sich, ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft, mit der Wiederverwendung von ganzen Betonfertigteilen. Auch die serielle und modulare Bauweise spricht für vorgefertigte Betonbauteile. Durch sie kann rasch dringend benötigter Wohnraum geschaffen und gleichzeitig nachhaltig gebaut werden. So können beispielsweise durch schlanke Fundamente, Mehrfachverwendung von Schalungen, den Einsatz von Carbonbewehrungen, optimierte Betonrezepturen sowie kurze Transportwege CO2-Einsparungen bis zu 30 % im Vergleich zur Ortbetonbauweise erreicht werden.


Stabwechsel beim Veranstalter

Eine Zeitenwende trat auch für das Team der BetonTage ein. Seit dem 1. Juni 2023 ist Michael Bartmann mit an Bord. Er wird als Referent für Veranstaltungsmanagement die Aufgaben von Rebecca Kliem übernehmen und u. a. die Ausstellung betreuen. Zudem geht die Ära von Prof. Hans-Joachim Walther, dem Leiter des technischen Fachprogramms, nach 21 Jahren „Ulm“ zu Ende. Dr. Ulrich Lotz, Geschäftsführer der FBF Betondienst GmbH, bedankte sich für sein jahrzehntelanges Engagement und stellte seinen Nachfolger vor: Prof. Dominik Kueres, Hochschule München, wird künftig für die fachliche Ausrichtung des Kongresses verantwortlich sein. An Themen wird es für die nächsten Jahre sicher nicht mangeln. Nicht nur die Betonfertigteilindustrie, sondern die gesamte Baubranche befindet sich im Umbruch, und so dürfen wir gespannt auf das Programm der 68. BetonTage sein. Diese finden im nächsten Jahr vom 14. bis 16. Mai 2024 statt.

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